Neulich habe ich mir neuen Lesestoff bei der Landeszentrale für politische Bildung NRW (ZpB) bestellt, unter anderem das Buch „Die 101 wichtigsten Fragen: Digitalisierung“ von Fabian Geier und Sebastian Rosengrün (hier bestellbar). Das Buch nehme ich gerne in meine Lesempfehlungen auf, denn es ist quasi ein kleines Lexikon zum Thema Digitalisierung – und ich mag Lexika ;-).
Für Menschen außerhalb von NRW, die nicht bei der Landeszentrale NRW bestellen können: Ursprünglich ist das Buch im C.H.Beck Verlag erschienen: https://www.chbeck.de/geier-rosengruen-digitalisierung/product/34611591
Die 101 Fragen werden auf 160 Seiten abgehandelt, daher gehen die Antworten selbstverständlich nicht in die Tiefe, müssen sie aber auch nicht. Das Buch liefert nette Anregungen, um über verschiedene Ausläufer der Digitalisierung nachzudenken und an Teilthemen anzuknüpfen, über die man vorher noch nicht nachgedacht hat. Als Leserin, die bei vielen Aspekten „vom Fach“ ist, könnte ich nun hier und da ankreiden, wo wichtige Aspekte außer Acht gelassen wurden, aber das wäre Meckern an falscher Stelle, denn die meisten Themen werden trotz der kurzen Texte von verschiedenen, auch kritischen, Blickwinkeln beleuchtet – und das ist etwas, worauf ich großen Wert lege und was mir wichtiger ist als eine unreflektierte Fülle an verschiedenen Informationen. Außerdem soll das Buch vielmehr einen groben Überblick zur Vielfältigkeit des Themas geben, statt einzelne Aspekte detailliert zu beleuchten: passt.
Den Spagat zwischen dem Aufzeigen von Chancen und Gefahren der Digitalisierung, finde ich insgesamt gut gelungen. Nur an einer Stelle möchte ich doch meinen Senf dazu geben, nämlich bei Frage 88, wo es um das Darknet und den Tor-Browser geht: Zwar wird erklärt, dass die Anonymität beim Surfen mittels Tor-Browser auch Vorteile für die Privatsphäre alle Bürgerinnen und Bürger hat, allerdings wird der Mehrwert der Anonymität für meinen Geschmack etwas zu knapp dargestellt. Der Schwerpunkt liegt sehr auf den kriminellen Machenschaften, die im Darknet passieren. Ein paar Sätze mehr dazu, dass die Nutzung des Tor-Browsers auch vor kriminellen Machenschaften schützen kann, nämlich dem Missbrauch von Daten (personenbezogene Daten, Metadaten, Verbindungsdaten,…) und vor kommerzieller, sowie staatlicher Überwachung, wäre gut gewesen.
Ich habe mich vorher nicht informiert, ab welchem Alter das Buch empfohlen wird und sah später, dass es ab 14 Jahren empfohlen wird – bei dieser Einschätzung gehe ich in etwa mit. Die Autoren erheben einen recht hohen Anspruch an den Wortschatz der Leserinnen und Leser und behandeln einige „Erwachsenenthemen“ (Versicherungen, vernetzte Backöfen, Cryptowährung, Überlegungen rund um den eigenen Arbeitsplatz,…). Für Kinder wäre das Buch zu komplex, für Jugendliche ab 14 Jahren könnte es funktionieren, doch ich glaube die Inhalte des Buchs werden i.d.R. eher erst für Jugendliche ab 16 Jahren und Erwachsene interessant, wenn die Joborientierung mehr in den Fokus rückt. Und da das Buch vor allem die Digitalisierungsfortschritte der letzten 10 Jahre beleuchtet, sehe ich einen großen Mehrwert für Leserinnen und Leser, die sich schon seit ca. 10 Jahren ein wenig von der Digitalisierung abgehängt fühlen, aber noch nicht allzu weit von „neuen Technologien“ entfernt sind (in welchem Alter diese Personen dann auch sein mögen). Aber auch für mich, die sich viel mit Chancen und Gefahren im digitalen Zeitalter befasst, war das Buch spannend, da viele wichtige Themen gebündelt behandelt werden. Auf einen dicken Schicken zum Thema Digitalisierung hätte ich keine Lust gehabt und ich denke das knappe Format spricht viele Interessierte an. Ich freue mich also darüber, dass dieses Buch geschrieben und in das Bildungsprogramm der ZpB aufgenommen wurde.
Das Buch ist in 12 Abschnitte gegliedert: Grundlagen | Digitalgeschichte | Digitale Gegenwart | Digitale Zukunft | Politik des Digitalen und digitale Politik | Digitalwirtschaft | Sicherheit | Privatsphäre und Datenschutz | Algorithmen und künstliche Intelligenz | Software | Internet und Medien | Digitale Lebenswelt.
Ein paar Zitate, die mir selbst aus der Seele sprechen, oder die ich als passend für meine Leserinnen und Leser empfinde:
Aus dem Kapitel „Digitale Gegenwart“:
„Es ist immer ein schöner Vorwurf, anderen – vorzugsweise Jüngeren – vorzuwerfen, sie klebten die ganze zeit an ihren Geräten. Freilich steckt eine gewisse, vielleicht sogar gewollte Ignoranz in dem Satz. Man schert dabei nämlich all die verschiedenen Aktivitäten und Gefühle, Lernprozesse und Arbeiten, Erholung, Erkundung und das halbe Sozialleben über einen Kamm, das und die durch diese Geräte stattfinden.“
Fabian Geier/Sebastian Rosengrün (2023), S. 24
Im Kapitel „Digitalwirtschaft“:
„Auch Technikkonzerne wollen nicht immer nur das eine. Für mich war es jedenfalls ein Augenöffner, als einer meiner Lehrer sagte: ‚Wenn Du eine Institution verstehen willst, dann frage dich nicht, was ihre Aufgabe, sondern Schauplatz welcher Konflikte sie ist.’“
Fabian Geier/Sebastian Rosengrün (2023), S. 56
Zur Abhängigkeit der Softwareindustrie von sozialen und politischen Entscheidungen:
„Der digitale Wandel ist keine Naturkatastrophe, die die Menscheit unvorbereitet trifft und zu der sie sich irgendwie verhalten muss […]. Tatsächlich wird die verändernde Kraft von Software von einer unermesslichen Vielzahl miteinander zusammenhängender und nicht-zusammenhängender Entscheidungen getragen und tagtäglich aufrecht erhalten.“
Fabian Geier/Sebastian Rosengrün (2023), S. 115
Das obenstehende Argument nutze ich auch immer wieder, wenn ich über Digitalisierung und Datenschutz an Schulen aufkläre: Wir haben es in der Hand, wie wir die Digitalisierung gestalten, und wir geben Kindern und Jugendlichen das Rüstzeug an die Hand, damit sie die digitale Welt später mit einem funktionierenden Wertekompass gestalten können. Zugeben: So ganz frei sind wird dabei nicht, denn da gibt es ja noch Politik und Gesetze, die uns einen (manchmal sehr ätzenden) Rahmen geben, aber niemand muss stillschweigend die Software akzeptieren, die einem – oder den eigenen Kindern – vorgesetzt wird. Schon gar nicht, wenn die Software dem freiheitlich, demokratischen Grundgedanken des Bildungsauftrags entgegen steht. Wenn an Schulen die Entscheidung für eine (proptietäre) Software fällt, dann wirkt diese Entscheidung immer so absolut, als wenn sie nie wieder revidierbar wäre und sich nun alle wortlos mit den Nachteilen abfinden müssten. Auf mich wirkt das als würde man mit einem One-Way-Ticket ein kritisches Reiseziel ansteuern, dessen Einreisebestimmungen man nicht kennt. Kritisch mitzudenken und ggf. „Stop!“ zu rufen, sollte jede*r tun.
Mehr zum Thema Datenschutz an Schulen und wie Lehrkräfte & Eltern dafür einstehen können:
Im Kapitel „Internet und Medien“:
„Kurz: Trauen Sie nie einer Werbung, die Ihnen sagt, dass ein neues Gerät Ihnen hilft, Ihre Ziele leichter und schneller zu erfüllen. Fragen Sie sich immer auch: Was wird das mit meinen Zielen und den Strukturen meines Lebens machen?
Fabian Geier/Sebastian Rosengrün (2023), S. 128
Passend zu meinem Interview neulich, in dem es um den Berufswunsch „Influencer*in“ ging:
„Vor allem für ihre zumeist jugendliche Zielgruppe sind die Grenzen zwischen Authentizität, Selbstmarketing und Schleichwerbung einigermaßen verschwommen, weshalb Influencer nicht zu Unrecht auch einen fragwürdigen Ruf genießen. Wenn man Influencer aber darauf reduzieren würde, begeht man denselben Fehler, den die öffentliche Debatte damals bei Rezo gemacht hat […] zu verkennen dass es […] vor allem sehr junge Menschen gibt […] die […] nur dank Influencern mit wichtigen Fakten, Themen und Problemen konfrontiert werden, über die anderswo geschwiegen wird oder die sonst im Nirgendwo verhallen.“
Fabian Geier/Sebastian Rosengrün (2023), S. 136, Zitat stark verkürzt
Hiermit meinen die Autoren vermutlich, dass der Influencer „Rezo“ ein ziemlich schlaues Kerlchen ist und damals unterschätzt wurde, als er bei YouTube für die Zerstörung der CDU warb und Ex-Kanzlerin Merkel ins Schwitzen brachte. Er wurde dabei sowohl in Bezug auf seine Kompetenz/sein politisches Wissen unterschätzt, als auch bezüglich seiner Reichweite und seines Einflusses auf junge Menschen. An dieser Stelle vermisse ich in dem Buch noch eine Ergänzung über die große Verantwortung und die große Last, die Influencer*innen für ihre Inhalte und ihr Publikum tragen (und die sie auch für Fake News und anderen Mist missbrauchen können).
Mehr zu dem Kindheitstraum „Influencer*in“ zu werden und über die Bedürfnisse/Motivationen junger Menschen, soziale Medien so zu nutzen, wie sie sie nutzen, können Sie in meinem Buch „Screen Teens – Wie wir Jugendliche in die digitale Verantwortung begleiten“ nachlesen. Auch dieses Buch können Sie derzeit kostengünstig bei einigen Landeszentralen für politische Bildung bestellen (in Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg und Sachsen).
Es handelt sich bei dem Buchtipp um meine persönliche Empfehlung, ohne Gegenleistung.