In einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger, habe ich Tipps gegeben, was Eltern beachten sollen, wenn sie ihrem Kind das erste Smartphone kaufen. Dabei ging es nicht um Gerätemodelle, sondern um die inhaltliche Begleitung der Smartphonenutzung. Aus dem guten und langen Gespräch sind 10 Tipps zusammengeschrieben worden:
„Zeitlimits, Apps, Gruppendruck: Das erste eigene Handy fürs Kind – worauf sollten Eltern achten? – 10 Tipps, wie man Gerät und Nachwuchs fit macht für die digitale Welt“, Kölner Stadtanzeiger, Isabell Wohlfarth, 27.07.2023, https://www.ksta.de/ratgeber/familie/mediennutzung-das-erste-eigene-handy-fuers-kind-worauf-sollten-eltern-achten-617214 (Paywall – leider habe ich hier keine Veröffentlichungsrechte erhalten)
Zu den 10 Tipps möchte ich noch weitere Aspekte ergänzen, die es aus Platzgründen nicht in den Artikel geschafft haben:
1. Geräte-Einstellungen: Standort und Bluetooth ausschalten
Diese Optionen sollten nicht nur für die Geräte von Kindern gewählt werden, sondern von allen Smartphone-Nutzer.innen. Den eigenen Standort preiszugeben kann für Leib und Seele akut gefährlich werden. So verfügt Snapchat beispielsweise über die Funktion „Snap Map“, wo die in der App geschossenen Bilder auf einer geografischen Karte markiert und veröffentlicht werden. Herauszufinden, wo sich das Kind gerade aufhält, ist somit für jede fremde Person leicht möglich. Die Funktion kann (und muss) manuell in der Snapchat-App ausgestellt werden, aber die Standortübertragung global für das gesamte Gerät zu unterbinden, bietet zusätzlichen Schutz.
Den Standort zu bestimmen geht jedoch (abgesehen von der Auswertung von Mobilfunkdaten) auch anders, z.B. durch WLAN-Tracking. Die Tracking-Möglichkeit ist inzwischen so populär, dass sogar in Supermärkten davon Gebrauch gemacht wird. Die Verfolgung der Kund.innen durch den ganzen Laden, ermöglicht nach Auswertung der Daten beispielsweise eine „kundenfreundliche“ Anordnung der Gänge und Produkte [1]. Wirklich freundlich ist dies natürlich nicht, denn es geht darum, mehr Profit herauszuschlagen und teilweise auch darum, die Kund.innen digital zu identifizieren und ihnen weitere (personalisierte) Angebote unterbreiten zu können (z.B. auf Websites und in Sozialen Netzwerken). Dabei geht es also weniger um eine akute Gefahr, sondern um eine schleichende Manipulation.
Bluetooth oder NFC wiederum bieten Einfallstore in das System/Gerät. Dadurch ergibt sich nicht nur eine mögliche Gefahrenstelle für das Betriebssystem, sondern auch die Möglichkeit ungefragt Dateien zu empfangen: So können auch Nacktbilder oder gewaltvolle Videos auf die Smartphones der Kinder gelangen.
Kurz: Verbindungen nach außen sollten nie dauerhaft eingeschaltet sein. Das gilt für die Übertragung des Standorts, sowie für Bluetooth, NFC oder auch WLAN.
2. Die App-Frage: Soziale Netzwerke am Anfang vermeiden
Die oberste Regel sollte sein, dass Kinder keine Apps nutzen dürfen, über deren Gefahren sie noch nicht aufgeklärt wurden. Wenn das Kind Social Media nutzen möchte, dann muss schon vorher über Cybermobbing, Cybergrooming, Falschnachrichten, Hassrede und weitere Abgründe des Social-Media-Sumpfes aufgeklärt worden sein. Das ist keineswegs leicht, ich weiß. Und es bedeutet, dass Eltern sich im Vorfeld über die Funktionen der App schlau machen müssen. Es ist aber notwendig für diese Themen zu sensibilisieren, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Ich kann daher auch keine pauschale Empfehlung geben, welche App in welchem Alter zu empfehlen ist. Es gibt Kinder, die schon mit 10 Jahren über die Stolperfallen im Netz Bescheid wissen und andere, die sich noch mit 17 sehr naiv durch die Medienlandschaft bewegen. Und pauschal alles präventiv zu verbieten, halte ich auch nicht für den richtigen Weg, aber dazu mehr in Punkt 5.
Eltern sollten aber auch bedenken: Es gibt unzählige Apps, die verschiedenste Funktionen beeinhalten und so sind beispielsweise auch Spiele, die zunächst nicht als Social-Media-Apps eingestuft werden, oft mit Chatfunktionen ausgestattet. Umso wichtiger ist, dass sich Eltern darüber schlau machen, was die Kinder auf ihren Smartphones installieren, um böse Überraschungen zu vermeiden.
3. Bei neuen Apps immer Privatsphäre-Einstellungen checken
Leider sind in den Geräteeinstellungen und in Apps nicht immer die privatsphärefreundlichsten Optionen voreingestellt. Welche Einstellungen zu Privatsphäre und Datenschutz genau eingestellt werden müssen, kann ich pauschal nicht beantworten, da sich alle Gerätemodelle und Apps voneinander unterscheiden. Ich empfehle daher, immer wachsam alle Einstellungen durchzugehen, auch wenn das keinen Spaß macht. Auch die Stellen, wo Telefonnumern oder Gesprächspartner.innen blockiert/gesperrt/gemeldet werden können, sind unterschiedlich, sollten dem Kind aber für jede App gezeigt werden. Und: Eltern sollten die Einstellungen mit ihren Kindern zusammen durchgehen. Es wird die Zeit kommen, wo sie auf sich alleine gestellt sind und eine Vorstellung davon brauchen, worauf sie achten müssen. Je öfter man das gemacht hat, desto besser wird das Gefühl dafür.
4. Öfter die Perspektive des Kindes einnehmen
Der Aspekt ist mir ein großes Anliegen. Erwachsene verstehen nicht immer, wieso Kinder Medien so nutzen, wie sie sie nutzen – das ist ganz natürlich. Kinder selbst können diese Frage natürlich auch nicht immer beantworten, denn es gibt oft gesellschaftliche/soziologische und psychologische Gründe, die dahinter stehen. Was aber von Vorteil ist: Eltern kennen ihre Kinder meist ziemlich gut. Ein kleiner Perspektivwechsel und der Blick auf die Bedürfnisse der Kinder, kann großes bewirken. Daher habe ich in meinem Buch „Screen Teens“ an vielen Stellen Infokästen untergebracht, in denen verschiedene mögliche Bedürfnisse von Jugendlichen bei unterschiedlichen Medienhandlungen beschrieben werden, z.B. wieso sie andere mobben, wieso sie möglicherweise Nacktbilder von sich verschicken, wieso sie Falschnachrichten verbreiten, wieso sie Wut und Hass in Sozialen Netzwerken verbreiten und welche Gründe es haben kann, wenn sie von (Online-)Games nicht loskommen. Jedes Kind ist individuell, aber es schadet nicht, verschiedene Ursachen in Betracht zu ziehen.
5. App-Gruppen-Druck: Wünsche des Kindes unbedingt ernst nehmen
Ich verstehe den Wunsch von Eltern, dass sie ihrem Kind eine App nicht erlauben möchten. Und „ich will die App, weil alle sie haben“, gilt für mich nicht als valides Argument. Dennoch sollten Eltern nicht zu vorschnell urteilen und sich zumindest mit dem Wunsch des Kindes auseinander setzen. Als einziges Kind der Klasse eine bestimmte App nicht nutzen zu dürfen, kann ggf. zu Ausgrenzung des Kindes führen. Allein schon, weil es nicht mitreden kann. Vor einem vorschnellen „Nein“, sollten Eltern die Gründe für die Ablehnung klar vor Augen haben: Was ist das Gefährliche an der App? Wieso darf das Kind diese nicht nutzen? Als nächstes gibt es noch die Möglichkeit, die entsprechenden Risiken zu minimieren. Wie schon in Punkt 2 beschrieben, kann der Wunsch eine bestimmte App zu nutzen auch eine Anregung sein, um über mögliche Fallstricke ins Gespräch zu kommen. Vielleicht finden sich aber auch alternative Möglichkeiten, sodass diese App für den gewünschten Zweck am Ende doch nicht benötigt wird. Letzlich entscheiden die Eltern aber, was sie für ihr Kind individuell am besten halten – und es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen.
6. Blockinglisten für unpassende Netz-Inhalte
Hier sprach ich im Interview über JusProg, einem Jugendschutzfilter mit dem Black- und Whitelists erstellt werden, also reguliert werden kann, welche Websites besucht oder nicht besucht werden dürfen. Zwei Ergänzungen: Jüngere Kinder von potenziell schädlichen Inhalten fernzuhalten, halte ich für sinnvoll. Bei älteren Kindern – und damit meine ich Kinder ab 11/12 Jahren – halte ich technische Filter nicht für effektiv. Irgendwann müssen sie lernen damit umzugehen, weil sie z.B. pornographischen und gewaltvollen Inhalten sowieso begegnen werden. Und ganz ehrlich: Wenn sie sich diese Inhalte bewusst anschauen möchten, finden sie einen Weg (z.B. auf den Geräten von Freunden).
Was aber in jedem Fall blockiert werden sollte, ist Werbung (z.B. mit dem Werbeblocker „uBlock Origin“).
7. Statt fester Zeitlimits Medienzeit individuell anpassen
Kommt es wirklich auf ein paar Minuten an? In den meisten Fällen wahrscheinlich nicht. Kinder reizen ihre Medienzeit natürlich aus und brauchen daher Grenzen, aber ich halte nichts davon, sie einer minutengenau vorgegebenen Mediennutzungsdauer zu unterwerfen, weil irgendjemand diese empfohlen hat. Es gibt wissenschaftliche Ansätze dazu, wie viel Bildschirmzeit (un)gesund ist, aber oftmals mischen sich darunter auch Hobbypsycholog.innen und Menschen mit paranoiden Zügen, die jede Minute der Mediennutzung als körperlich schädlich betrachten. Ja, irgendwann sollte immer Schluss sein. Und sicherlich sollte die Bildschirmzeit zunächst so gering wie möglich gehalten werden und erst mit steigendem Alter ausgeweitet werden. Da wir hier vom ersten eigenen Smartphone sprechen, geht es an dieser Stelle aber nicht mehr um Kleinkinder (hoffe ich zumindest) und Eltern sollten sich nicht von starren Vorgaben verrückt machen lassen, sondern genau eruieren, was das Kind am Smartphone inhaltlich machen möchte. Man kann Kindern nicht eindringlich erklären, wieso 90 Minuten okay sind, aber 93 Minuten nicht (um mal eine beliebige Zahl in den Raum zu werfen). Was man aber erklären kann, sind mit Sinn festgelegte Zeiteinheiten: Dauert eine Runde in dem Lieblingsspiel 45 Minuten, dann wäre dies eine logische Zeiteinheit, die veranschlagt werden kann. Möchte das Kind mit Freund.innen chatten, kann man die Länge einer Schulpause (z.B. 15 Minuten) heranziehen. Will das Kind ein Level durchspielen UND mit Freund.innen kommunizieren, dann ergeben sich 45 + 15 = 60 Minuten Medienzeit. Es könnten auch zwei Levellängen oder zwei Schulpausenlängen hintereinander vereinbart werden – es gibt so viele Möglichkeiten, wie die Medienzeit gestaltet werden kann. Und wieso nicht auch mal eine Schulpausenlänge für „Quatsch“ (vorher nicht bestimmte Tätigkeit) gewähren? Erwachsene lassen sich doch auch vor dem Smartphone oder Fernseher berieseln. Will das Kind dazu noch etwas anderes machen, muss es sich vielleicht schon entscheiden – irgendwann ist eben auch gut, aber entscheidend sind Augenmaß und die Inhalte.
Was ich absolut nicht unterstützen möchte, sind technische Sperren, die das Gerät nach Ablauf der Medienzeit ausschalten, denn es ist nicht fair. Vielleicht hat das Kind die ganze Zeit hart am nächsten Levelaufstieg gearbeitet und schafft nicht mehr rechtzeitig den Spielstand abzuspeichern. Oder es liest gerade einen spannenden Beitrag (kann auch ein Video sein) und bekommt das Fazit nicht mehr mit. Oder es unterhält sich mit Freunden und wird abrupt aus dem Gespräch gerissen, ohne eine letzte Frage klären oder sich verabschieden zu können. Ein kleines Gedankenexperiment: Stellen Sie sich mal vor, ein Kind fände, dass Mama oder Papa zu viel arbeiten und würde nach einer gewissen Zeit den Stecker ziehen. Mitten in einem wichtigem Arbeitsprozess. Das wäre genauso daneben. Nun könnte man meinen, dass dieser Vergleich hinkt, weil die Erwerbsarbeit von Erwachsenen höher zu bewerten sei, als das was Kinder an ihren Geräten tun. Aber die Lebenswelten unterscheiden sich nunmal: Den Kindern ist das, was sie an dem Gerät tun, in dem Moment eben wichtig und ihre Interessen verdienen ein gewisses Maß an Respekt/Akzeptanz.
8. Bei exzessiver Nutzung Apps deinstallieren und genau hinschauen
Wie schon gesagt: Irgendwann muss auch Schluss sein. Und wenn das Kind sich in gefährliche Situationen begibt, mehrfach nicht aus Fehlern lernt oder Eltern das Risiko einfach zu hoch einschätzen, dann muss seitens der Eltern auch mal streng durchgergriffen und eine App ggf. deinstalliert werden. Wichtig ist trotzdem, diese Maßnahme vernünftig zu kommunizieren: Was ist das Gefährliche daran? Wieso darf das Kind die App nicht mehr nutzen? Das Kind wird zukünftig erneut auf ähnliche Apps und Gefahren stoßen, oder diese bei Freund.innen auf deren Geräten weiternutzen, deshalb ist es wichtig, offen und ehrlich zu sprechen. Wie schon in Punkt 4 und 5 beschrieben, sollte in die Überlegungen auch einbezogen werden, welche Funktionen/Annehmlichkeiten durch die Deinstallation der App genommen werden, was das für das Kind bedeutet und welche alternativen Möglichkeiten es gäbe.
9. Mit Kindern früh über Gefahren im Netz sprechen
Selbsterklärend. Der Zeitpunkt für das erste Smartphone verschiebt sich immer weiter nach vorne. Dementsprechend muss auch die Sensibilisierung für Gefahren immer früher beginnen. Aber das Ganze hat auch Grenzen: So kann man beispielsweise nicht schon mit kleinen Kindern über Themen wie Nacktfotos und Grooming sprechen. Dementsprechend sollte sich auch die Erlaubnis für Social-Media-Apps (und andere Apps mit Chatfunktionen) entsprechend nach hinten verschieben.
10. Am Anfang Smartphone-Nutzung des Kindes begleiten
Der Ton macht die Musik. Wenn Eltern ihr Kind freundlich und bestimmt darum bitten auf dem Gerät mitschauen zu dürfen, wird das Kind sich viel wohler dabei fühlen, als wenn sie diese Kontrolle streng und kompromisslos einfordern. Eltern und Kind sollten in der ersten Zeit die Medienwelt gemeinsam erkunden und herausfinden, was dem Kind Spaß macht, wo seine Stärken und Interessen liegen.
Ungefragtes Ausspionieren des Smartphones halte ich für keine gute Idee. Sollte der kleine Anflug von Neugierde auffliegen, kann das Vertrauen zum Kind erschüttert werden. Und das kann tiefe Wunden in der Eltern-Kind-Beziehung hinterlassen. Spätestens, wenn das Kind älter wird und Eltern darauf angewiesen sind, dass es mit Problemen zu ihnen kommt, kann der Eingriff in die Privatsphäre unangenehme Folgen haben.
Weitere Tipps gibt es in meinem Buch „Screen Teens – Wie wir Jugendliche in die digitale verantwortung begleiten“